Kennst du dein Los?

An was denkst du, wenn du das Wort „Los“ hörst? Vielleicht klingt es für dich wie eine Aufforderung, dich auf den Weg zu machen: Es geht los! Vielleicht denkst du aber auch an das kleine Papierbriefchen, das du an Losständen in Fußgängerzonen oder auf einer Tombola erwerben kannst, natürlich immer hoffend, keine Niete, sondern das „große Los“ gezogen zu haben. Möglicherweise aber erinnerst du dich auch an altertümlich klingende Wendungen wie „Sie hat ein schweres Los zu tragen“.

Tatsächlich steckt in letzterem Ausdruck die ursprüngliche Bedeutung des Wortes. „Los” ist in etwa gleichzusetzen mit „Schicksal“. Das Los ist die uns bei der Geburt zugeteilte Bestimmung. Dieses Schicksal wird uns von höheren Mächten zugewiesen, es wird uns zugelost. Solche Schicksalsmächte nehmen in den Mythen vieler Kulturen eine besondere Stellung ein, stehen oft nicht nur über den Menschen, sondern auch über den Göttern selbst. So müssen sich die Unsterblichen der griechischen Antike dem Spruch der Moiren ebenso beugen wie die Sterblichen. Bei den Römern finden wir die Parzen in ähnlicher Position und bei den nordischen Völkern die Nornen. In der Regel tritt das Schicksal in Gestalt weiblicher Gottheiten auf, meist zu dritt oder einem Vielfachen von drei, seltener zu viert.

Das Bild der drei den Faden des Schicksals spinnenden Moiren hat sich tief in das kulturelle Bewusstsein des Abendlandes eingeprägt. Da ist Klotho mit der Spindel, die den Lebensfaden spinnt, Lachesis mit der Schriftrolle, die den Faden zuteilt, und Atropos, die Unerbittliche, die den Faden mit ihrer Schere wieder durchtrennt. Bei den Römern warn sie als Parzen bekannt. Ihr Name leitet sich von lateinisch „parere“ ab, was „gebären, zu Welt bringen, erschaffen“ bedeutet. Darin erkennt man ihre ursprüngliche Aufgabe als Geburtsg- und Geburtshilfegöttinen. Sie stehen an der Wiege des neugeborenen Menschen und weisen ihm sein Schicksal zu.

Im Märchen Dornröschen treffen wir in der Gestalt der zwölf Feen auf enge Verwandte dieser Schicksalsgöttinnen. Dazu gehört natürlich auch die dreizehnte Fee, die den dunklen Aspekt des Schicksals verkörpert. Der dem Französischen entlehnte Begriff „Fee“ leitet sich von dem lateinischen „Fata“ ab, was wiederum von „Fatum“ für Schicksal stammt. Die Sprüche der weisen Frauen sind als Botschaften zu verstehen, die das künftige Leben des Menschen bestimmen. Hier kommen wir wieder auf den Begriff „Los“ zurück, der auch als vom Schicksal zugewiesene Mitteilung gesehen werden kann, als Weissagung.

Die germanischen Nornen, die an einer Quelle unter dem Weltenbaum Yggdrasil anzutreffen sind, tragen die Gabe der Prophetie am deutlichsten mit sich. Nornen – das sind die „Raunenden“. Sie heißen Und, die Gewordene, Verdandi, die Werdende, und Skuld, die Sein-Sollende – Umschreibungen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In diesem Sinne sind die Nornen auch Herrinnen der Zeit.

In der Lieder-Edda lesen wir:

Ask veit ek standa,
heitir Yggdrasill,
hár baðmr, ausinn
hvíta auri;
þaðan koma dǫggvar,
þærs í dala falla,
stendr æ yfir, grænn,
Urðar brunni.
Þaðan koma meyiar
margs vitandi
þrjár, ór þeim sal,
er und þolli stendr;
Urð hétu eina,
aðra Verðandi,
– skáro á skíði, –
Skuld ina þriðio;
þær lǫg lǫgðu,
þær líf kuru
alda bǫrnum,
ørlǫg seggia.

Eine Esche weiß ich,
heißt Yggdrasil,
Den hohen Baum
netzt weißer Nebel;
Davon kommt der Tau,
der in die Täler fällt.
Immergrün steht er
über Urds Brunnen.
Davon kommen Frauen,
vielwissende,
Drei aus dem See
dort unterm Wipfel.
Urd heißt die eine,
die andre Verdandi:
Sie schnitten Stäbe;
Skuld hieß die dritte.
Sie legten Lose,
das Leben bestimmten sie
Den Geschlechtern der Menschen,
das Schicksal verkündend.

Das Schneiden der Stäbe und Legen der Lose verweist auf das Werfen der Runen als Orakel zur Weissagung. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Runen auf die Nornen zurückgehen, auch wenn sie einer weiteren Überlieferung nach auf Odin, den Göttervater, zurückgehen.

Die Bedeutung der Lose als Orakel hat sich in den Losnächten erhalten. Nächte, die als Losnächte bekannt sind, kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie besonders gut geeignet sind für Orakel aller Art. Gerade die besonderen Nächte der Vorweihnachtszeit sind hier zu erwähnen, zum Beispiel die Andreasnacht oder die Barbaranacht. Orakelbräuche in diesen Nächten haben sich zum Teil bis heute erhalten, zum Beispiel der Barbarazweig. Es ist wahrscheinlich, dass diese Bräuche auf ältere Überlieferungen zu dieser besonderen Zeit des Jahres vor der Wintersonnenwende zurück gehen und sich deshalb in ihnen heidnisches Wissen erhalten hat.

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