Frau Welt – Schönheit und Vergänglichkeit
Im Mittelalter taucht immer wieder eine Frau als Personifikation aller sinnlichen Freuden und irdischen Genüsse auf: Frau Welt, manchmal auch Frau Venus genannt. Sie verkörpert die Lust im Gegensatz zur Enthaltsamkeit, die Begierde im Gegensatz zur Mäßigkeit und die Verführung im Gegensatz zur Bescheidenheit. Damit steht sie für all das, was den frommen Menschen auf seinem Weg ins Seelenheil gefährlich werden kann. Sie ist ein Ausbund der Sünde und führt den Menschen ins Verderben. Entsprechend drastisch sind die Darstellungen der Frau Welt: Von vorne eine junge, schöne Frau, von hinten ein von Ungeziefer zerfressenes altes Weib. In der Fastnacht, in der Sinnenfreuden und Vergnügen Hochzeit haben, ist sie daher anzutreffen. Man könnte sagen, sie ist so etwas wie die geheime Herrin der verrückten Zeit, denn sie bringt uns dazu, alle Tugend fahren zu lassen. Mit ihr kommen wir erfolgreich vom rechten Wege ab.
Der rätselhafte Tanz der Morisken
Vielleicht steckt hinter dieser Gestalt nur eine mahnende Allegorie über Schönheit und Vergänglichkeit, wie manche vermuten. Vielleicht aber ist da auch noch mehr. Ein Hinweis gibt ihr Erscheinen als Mittelpunkt des so genannten Moriskentanzes, der uns aus vielen Gegenden Europas überliefert ist und eine feste Tradition der Faschingszeit war – und mancherorts noch ist. Bei diesem Tanz zu stampfender Musik springen als Narren verkleidete Männer um Frau Welt, die einen Apfel oder manchmal auch einen Ring als Trophäe in der Hand hält. Derjenige, der die Frau durch möglichst extravagante und Aufsehen erregende Tanzbewegungen und Sprünge begeistern kann, erhält den Preis.
Morisken waren ursprünglich Mauren, die zwangsweise zum Christentum konvertierten und nach der Rückeroberung in Spanien lebten. Warum dieser Tanz mit dieser Volksgruppe in Verbindung gebracht wurde und ob es etwas mit seinem Ursprung zu tun hat, ist umstritten. Wahrscheinlich geht er eher auf einen archaischen Fruchtbarkeitskult zurück.
Die Tänzer tragen klingende Namen: Orientale, Mohr, Hochzeiter, Burgunder, Frauenhut, Prophet, Bauer, Schneiderlein, Zauberer, Gezaddelter – wie die Figuren eines eigenartigen Maskenspiels. Typisch waren bizarre Kopfbedeckungen, die jede Kleiderordnung, wie sie im Mittelalter strikt geregelt war, auf den Kopf stellte. Da trug der Bauer einen orientalischen Turban, ein anderer eine mit einem Löwenkopf fantastisch ausgeschmückte Hochmütze. Alles war denkbar, Hauptsache bunt und schrill. Besonders schöne Exemplare und die einzigen in vollplastischer Darstellung erhaltenen Figuren von Moriskentänzern, sind in München im Stadtmuseum zu bestaunen. Andere Darstellungen finden sich am berühmten Goldenen Dachl in Innsbruck.
Frau Venus: Alles dreht sich um die Liebe
Im Zentrum des Geschehens steht Frau Welt. Um sie dreht sich alles. In manchen Überlieferungen wird sie auch Frau Venus genannt – und das verrät uns einen weiteren Hintergrund zu diesem rätselhaften Brauch. Venus ist die Göttin der Liebe und daher eine würdige Vorfahrin der Frau Welt. Auch der Apfel ist ein Hinweis auf Venus, war es doch diese Frucht, die sie von Paris erhielt, als sie ihm die schöne Helena versprach, er also die Liebe gegenüber Macht und Weisheit vorzog. Im Moriskentanz drehte sich alles um die Liebe, die Lust und die Leidenschaft. Das Ganze wirkte wie eine unterhaltsame Persiflage auf das Liebesspiel der Geschlechter und hatte sicherlich frivole Züge, die so manchem Sittenwächter in dieser Zeit die Schamesröte ins Gesicht treiben musste. Dies war kein gewöhnlicher Tanz, sondern ein sinnlicher Rausch, angefeuert durch den treibenden Klang der Musik und dem rhythmischen Stampfen im scharfen Dreierrhythmus, untermalt von ekstatischem Rassel- und Schellenklang.
Tanz der Sterne
Im Tanzsaal des Münchner Rathauses, dem Originalstandort der berühmten Münchner Moriskentänzer von Erasmus Grasser aus dem 15. Jahrhundert, erfüllten Holzfiguren mit Sicherheit eine symbolische Funktion im Raumganzen. Die Decke war übersät mit goldenen Rundnägeln wie das nächtliche Himmelszelt. Die Moriskentänzer sind am Fuß dieses Firmaments zu finden.
Der Humanist Conrad Celtis dichtete etwa zur Zeit der Moriskentänzer folgendes, dazu passendes Epigramm:
Maurisci ut circum pulchram saltant mulierem
Et vario gestu corpora quisque movet
Omnibus haec pulchra spondet gravitate favorem
Et resonante melo non sua membra movet
Candida per stabilem sic saltant sidera terram
So wie Morisken springen um das schöne Weib
und mit verschiedenen Gesten die Körper bewegen
Und allen gewährt Gunst die würdevolle Schöne
und in der Musik die eigenen Glieder nicht rührend,
ruhig verharrend, so springen die Sterne um die Erde.
Dies lässt vermuten, dass sich hinter dem lasterhaften Schein des Tanzspiels eine kosmologische Dimension verbirgt und die Morisken Vertreter des um die Erde tanzenden Sternenhimmels sind. Ebenso wie das Firmament sich um die Erde dreht, kreisen die Morisken um die Welt, verkörpert durch die Frau mit dem Apfel. Der Moriskentanz, ein Abbild des kosmischen Reigen, und die Botschaft der Morisken: Alles ist in Bewegung!
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